Online-Medium, Deutschland/Österreich 2018, 86 Minuten
In einer Mischung aus Dokumentation und Animation geht der Film „Kleine Germanen“ der Frage nach, wie eine Erziehung unter dem Einfluss rechtsextremer Ideologie sich auf Kinder auswirkt. Die Rahmenhandlung bilden – unter anderem zur Wahrung der Anonymität der Protagonistin – animiert dargestellte Szenen, die sich an ein zuvor mit einer Aussteigerin geführtes Interview anlehnen. Auf eindringliche Weise erzählen diese Szenen die Lebensgeschichte der Elsa genannten Aussteigerin nach, die durch ihren geliebten Großvater schon als kleines Kind mit rechtsextremen Vorstellungen konfrontiert wird. Von ihm lernt sie Schmerzen zu ignorieren und voller Stolz Nazi-Parolen von sich zu geben. Er bläut ihr Feindbilder ein und zwingt sie Hitlers „Mein Kampf“ auswendig zu lernen. Erwachsen geworden heiratet Elsa den Neonazi Thorsten und erzieht ihre eigenen Kinder nach den gleichen Prinzipien, unter denen sie selbst aufwuchs. Erst als Thorstens Gewalt sich immer heftiger auch gegen die Kinder richtet, entschließt sie sich zum Ausstieg aus der rechten Szene. Für Ihre Tochter Marrit kommt dieser Schritt jedoch zu spät. An der eigenen Lebensgeschichte verzweifelt nimmt sie sich das Leben. Unterbrochen wird Elsas Geschichte durch Interviews mit Experten, die sich aus dem Off zu den Auswirkungen einer solchen Erziehung äußern, während Bilder von spielenden Kindern zu sehen sind. Außerdem kommen bekannte Vertreter der „Neuen Rechten“ und ein weiterer Aussteiger unkommentiert zu Wort und man sieht Einspieler von verschiedenen Veranstaltungen der rechten Szene. So entsteht ein verstörendes Spannungsfeld zwischen der bewusst ergreifend nacherzählten Geschichte Elsas, in der auch offene Gewalt zum Alltag gehört, den fundiert, aber angesichts der Frage, wie denn mit so etwas umzugehen sei, auch hilflos wirkenden Aussagen der Experten und den zunächst recht nichtssagend scheinenden, da gekonnt unverfänglich und Zustimmung heischend formulierten Aussagen der Vertreter der rechten Szene. „Kleine Germanen“ wurde mehrfach ausgezeichnet und hat von der Deutschen Film- und Medienbewertung das Prädikat „besonders wertvoll“ bekommen. Dass der Film unkommentiert aufzeigt, statt einfach anzuprangern, zugleich aber, wie es auch Vertreter der Rechten gerne tun, mehr die Gefühle als den Intellekt anspricht, brachte ihm allerdings auch – in gewisser Hinsicht nachvollziehbare – Kritik ein. Die Filmemacher seien den eigentlich zu kritisierenden Strategien der Vertreter der rechten Szene auf den Leim gegangen und hätten ihnen zu viel Raum gegeben, um letztlich Nichtssagendes zu äußern und sich als volksnah und harmlos darzustellen, heißt es da vor allem. Gerade durch diese Interviews wird aber auch überdeutlich, wo das Problem inzwischen liegt. Rechtsextreme, das sind nicht mehr nur gewaltbereite Neonazis, die Asylbewerberheime anzünden. Landleben, konservative Werte, Disziplin und Saumagen – die Neuen Rechten greifen auf, was viele für ganz sinnvoll halten oder womit sich nostalgische Vorstellungen verbinden lassen. So gewinnen sie an Einfluss bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Nur, wer ob der ersten „Sympathie“ nicht unachtsam wird und ihnen längere Zeit aufmerksam zuhört, erkennt, welch autoritäre, auf den seltsamsten, sorgfältig geschürten Ängsten gründende, demokratie- und fremdenfeindliche Ideologie sie vertreten. In dieser Hinsicht sehr viel deutlicher werden sie dann auch, wenn sie bei Veranstaltungen in den eigenen Reihen zu Wort kommen, was der Film in kurzen Ausschnitten zeigt. Regisseur Frank Geiger fasst den Eindruck, den diese Interviewpartner bei ihm hinterließen, so zusammen: „Ich glaube, es kommt in unserem Film rüber, dass man auch am Anfang Sympathie hat mit den Leuten, weil man denkt, ja die reden auch Dinge, die ich selber mir manchmal denke. Und dann entwickelt sich das eben in der Geschichte, dass sie seltsame Ansichten auch äußern, wenn man sie lange genug reden lässt.“ Deutlich wird: Kinder, die in so einem Umfeld aufwachsen, können sich dem kaum entziehen. Und sie sollen es auch nicht versuchen. Dabei spielt es letztlich gar keine so große Rolle, ob die Ideologie ihnen tatsächlich mit offener Gewalt und durch den Besuch völkischerer Ferienlager eingebläut wird, wie es Neonazi Thorsten für richtig hielt, oder ob Folgsamkeit, Angst und Abgrenzung, Disziplin und Härte auf subtilere Weise eingefordert werden. Die Interviewten jedenfalls wirken sehr überzeugt davon, dass ihre Kinder keinen ihnen nicht genehmen Weg einschlagen werden, auch wenn sie hier natürlich nicht genauer darlegen, wie die Erziehungsmethoden in ihren Familien denn konkret aussehen. „Der Käfig, in den die Kinder eingesperrt werden, ist der gleiche geblieben. Die Frage ist, wie befreien wir uns daraus?“, fragt Elsa am Ende des Films. Der Film lässt all das weitgehend unkommentiert. So ist schließlich der Zuschauer selbst gefordert, weiter zu hinterfragen und Stellung zu beziehen angesichts einer sich für immer selbstverständlicher haltenden gesellschaftlichen Strömung von der viel geredet wird – angesichts derer aber dennoch allzu oft Sprachlosigkeit herrscht.
FSK: | 12 |
Schlagworte: | Rechtsextremismus, Neue Rechte, Erziehung, Sozialisation, Autorität, Abgrenzung, Angst, Ideologie |
Sachgebiete: |
|
Standorte: | TBB |
Verfügbarkeitsende: | 0000-00-00 |